Das grönländische Eis taut immer schneller !*

Juli 2016: Wieder auf dem Weg nach Grönland sehen wir schon auf dem frühmorgendlichen Charterflug von Düsseldorf über die Eiskappe nach Kangerlussuaq die Misere - riesige Seen auf dem Eis. Die NASA hatte kurz vorher Bilder publiziert, die diese Situation dokumentieren:

 

Grönländische Eiskappe aus dem Weltraum, Vergleich Juni 2014 zu 2016. © NASA 2016

 

Vom Flugzeug aus bot sich ein vergleichbares Bild bei besten Lichtbedingungen. Da ich in einer sehr ungünstigen Position saß, hatte ich einige Mitreisende um Fotos gebeten. Mein bester Dank dafür, die Aufnahmen wurden auch in den "Eis-Vortrag" integriert, den ich auf der MS Hamburg auf zwei Reisen gehalten habe. Ich bekam eine sehr gute Überblicks- und zwei sehr gute Detailaufnahmen zur Verfügung gestellt (Besten Dank dafür!):

Die Grönländische Eiskappe beim Überflug: man sieht viele Schmelzwasser Kanäle, Seen und den Horizont. Die Größe und Anzahl der Seen ist erschreckend. Foto © Dieter Imhäuser 10.7.16

Die Seen haben, aus knapp 10.000 Metern Höhe aufgenommen, am Boden sicher ein unübersehbares Ausmaß.  Foto © Uwe-Klaus Ziech, 10.7.16, Canon 60D, 105mm

 

Die Seen verlieren aber auch Wasser, das offensichtlich nach unten durch den Gletscher läuft.  Foto © Henning Foerster, 10.7.16, Olympus E-M5 II

 

Anstatt zu schneien, hatte es in Frühjahr auf der Eiskappe geregnet und es bildeten sich große Regen- und Schmelzwasserseen. Diese Situation ist neu für Grönland und wird das Abschmelzen der Eiskappe nur noch beschleunigen!

Die Temperaturzunahme in Westgrönland betrug in den letzten 30 Jahren drei Grad Celsius! 2007 wurden in Siorapaluk, einer kleinen Siedlung in Nordgrönland, die bislang höchsten Sommertemperaturen von 24 Grad Celsius gemessen (Kostrzewa & Kostrzewa 2009).

Jährlich verlor die Eiskappe seit 1990 je nach Messpunkt 20 bis 60 cm an Höhe (Zwally et al. 2002). Heute liegt dieser Wert schon bei einem mehrfachen dieser Werte pro Jahr (Korth & Hofmann 2012). Auch der Eisabfluss aus Grönlands schnellstem Gletscher hat sich weiter beschleunigt: 1992 betrug der Eisfluss des Kangia Gletschers 15 Meter pro Tag, 2003 über 34 Meter pro Tag (Bindschadler2006). 2012 lag er schon bei 46m/d (Joughin et al. 2014). Mittlerweile sind 50 Meter pro Tag überschritten. Der Kangia Gletscher bei Illulissat spuckt immer mehr Eisberge immer schneller ins Eisbergkarussell, das die Eisberge entlang der westgrönländischen Küste zunächst nach Norden befördert. 

 

2016: Kangia Eisberge vom Sermermiut Tal aus gesehen.  © Achim Kostrzewa, Nikon FX, 28-85@ 48mm.

 

Schifffahrt bereits betroffen

Die Schifffahrt ist bereits betroffen, da mancher Hafen durch Eisberge blockiert, nicht angelaufen werden kann. Das passierte auf unserer Reise 2015 in Illulissat selbst, wo wir mit der MS Deutschland 16 km weit draußen auf Reede ankern mußten und auch 2016 in den Häfen von Sarqaq auf der Nuusuaq Halbinsel, Qeqertasuaq auf der Disko Insel, im Quillisat im Vaigat Sund, die wir nicht einmal mit dem Tender von der MS Hamburg aus ansteuern konnten. Selbst in Ummannaq und Upernavik mußten wir weit tendern. Wenn die Fahrt nicht zu weit war, konnten wir wenigstens die Zodiacs für weitere Landgänge nutzen. Die sommerlichen Eisverhältnisse werden also immer komplizierter, die Schiffahrt wird zum Glücksspiel. Auf der ersten Reise (10.7.-19.7.16) hatten wir öfters Pech, auf der 2. Reise (ab.19.7.16), ging es besser. Wenn es sich nur um die zunehmende Zahl von Kreuzfahrtschiffen handelt, ist das für die Grönländer wirtschaftlich vielleicht noch zu verkraften. Aber die grönländischen Siedlungen nördlich von Illulissat sind von ihrem Versorgungsschiff abhängig, das nur zweimal im Jahr jede Siedlung anläuft, um wichtige Güter zu liefern und man kann längst nicht alles draußen auf Reede erst auf Fischerboote umladen... 

 

Disko Bay 2015: wir liegen mit der MS Deutschland weit draußen vor Illulissat!

 

Weitere wissenschaftliche Ergebnisse

der NASA (et al.) zeigen, daß auch am Grunde des Eises Temperaturen nahe dem Taupunkt herrschen. Wie das? Die Erdkruste unter dem Eis ist besonders dünn und die Manteltemperaturen heizen das Eis von unten auf, wie die Tiefbohrungen zeigen (Quelle: u.a. GFZ-Potsdam).

Wasser zwischen dem Gletscher und dem Gestein läßt das Eis schneller fließen, soviel ist aus vielen Studien klar. Dies trifft besonders auf die Randbereiche des Grönlandeises zu, wie die grafische Verarbeitung verschiedener Messungen jetzt belegt. Was das aber für das Inlandeis langfristig bedeutet, läßt sich bislang kaum abschätzen. Bohrkerne bis zum Boden des Gletschers gibt es derzeit nur für 12 Stellen. Daher sind die hilfsweisen Auswertungen aller vorhandenen Fernmessungen über Satelliten jetzt von NASA Wissenschaftlern in einer Karte verarbeitet worden:

ROT = schon getaut,  HELLBLAU = unklarer Statur,  BLAU = noch gefrohren  © NASA 2016

Südgrönland taut, ebenso wie weite Teile des Westens am Gletschergrund flüssig zu sein scheinen. Da es keine Vergleichsdaten gibt, kann man nur beschreiben, was man aus den Daten liest und das läßt nichts Gutes vermuten! Ein deutliches Auftauen der Eisränder dokumentieren auch die Daten von Korth & Hofmann (2012). Und der Abfluß aus dem Kangia Gletscher hatte sich ja auch immer weiter beschleunigt (s.o.). Nach Satellitenmessungen, die den Zeitraum zwischen 2002 und  2011 umfassen, verliert Grönland rund 240+18 km3 Eis pro Jahr (Quelle: GFZ-Potsdam). Um eine Vorstellung zu bekommen: In dem jährlichen Abschmelzvolumen hätten 100 000 Cheopspyramiden Platz! Resultat, die Eiskappe blutet aus. Die Frage ist nur noch: Wie schnell geht das?

 

Wie schnell tauen Eisberge ?

Diese Gretchenfrage wurde auf dem Schiff dieses Jahr am häufigsten gestellt. Aber niemand kann sie seriös beantworten. Große Eisberge brauchen länger, kleine tauen schneller, soweit ist die Sache klar. ABER, der Zeitfaktor ist nicht zu definieren. Wenn große Eisberge in kleine zerbrechen, tauen diese schneller, als wenn der Eisberg in einem Stück bleibt. Außentemperatur, Wassertemperatur, Sonneneinstrahlung, Albedo, Strömung, Wind und Wellen, alles dies und noch mehr nimmt Einfluß auf die Dauer der Schmelze. Also, um es mit Wilfried Schmickler zu sagen: "Ich weiß es doch auch nicht."

Das Eisberg Karussell: ausgehend vom Kangia schwimmen die Eisberge erst nach Norden bis zum Smith Sund. Dort geraten sie in die Strömung, die aus dem Nordpolarbecken strömt und weiter entlang der kanadischen Küste verläuft. Bis sie an Neufundland vorbei sind, sind die meisten aufgetaut. (Grafik: NR aus Kostrzewa & Kostrzewa 2009). Das es auch anders kommen kann, beweist die Titanic 1912.

Es gibt auch n och eine zweite Quelle für große Eisberge: Ostgrönland. Auch hier schwimmen die Eisberge mit der Strömung aus dem Norden zunächst durch die Dänemark-Straße nach Süden, um dann beim Kap Farvel wieder in die nördliche Strömung entlang der Westküste zu gelangen. Später mischen sie sich unauffällig unter die Eisriesen aus dem Kangia-Fjord. Spätesten am Kap York kann dann niemand mehr sagen: der ist ein Ossi- und der ein Wessi-Eisberg. Das Schicksal ist immer das gleiche, sie tauen auf, nachdem die stärksten Neufundland passiert haben.

Die Wiege der Eisberge in den Fjorden Ostgrönlands bei starkem Dunst aus knapp 10.000 Metern Höhe. Mußte das Bild stark filtern, um den Dunst zu durchdringen. Foto © Achim Kostrzewa, 10.7.16, Nikon FX, 200mm.

 

Und was macht das Meereis?

Auch das taut sommers munter vor sich hin. In den letzten 10 Jahren konnte man z.B. 2006 ohne Eisbrecher fast bis zum Nordpol fahren. Die Fläche und die Dicke des Winter- und Sommermeereises nimmt von Jahrzehnt zu Jahrzehnt ab (Kostrzewa & Kostrzewa 2009).

 

2007 sind es von hier am Smith Sund (NW-Grönland) noch 1248 km bis zum Nordpol. Im August stehen große Tauwasserpfützen auf dem Meereis. Aufnahme vom Bug der MS Fram.  © Achim Kostrzewa

 

Noch mehr Eisberge, einfach weil sie so schön sind... 

Neben diesen trockenen, bzw. "nassen" Fakten haben Eisberge noch eine andere, ästhetische Facette: sie sind einfach schön. Hier einige Bildbeispiele:

 

Disko Bucht 2016

 

Unterwegs 2016

 

 Unterwegs 2016

 

Disko Bucht 2016

 

Disko Bucht 2016: flimmernde Luft bei 300mm Tele läßt die Eiswand nicht ganz scharf erscheinen, trotz 1/2.500sec Verschlußgeschwindigkeit!

 

Aasiaat 2007

 

 

 Disko Bucht 2007

 

Kap York 2007: der bedeckte Himmel läßt die Eisstrukturen besonders gut hervortreten.

 

Unterwegs 2007: nach Mitternacht im August - Eisberg mit Vollmond  Alle Fotos © Achim Kostrzewa (2007, 2015, 2016)

 

Fazit:

Für mich ist die Konsequenz aus der sich abzeichnenden Klimakatastrophe in Grönland folgende: ich fahre weiter dorthin und dokumentiere die Situation, die ich bei allem lebenslangen Engagement für Natur und Umwelt nicht mehr werde ändern können. Grönland ist schön und seine Bevölkerung sehr sympathisch und freundlich. Ich fühle mich dort des Sommers einfach wohl.

ABER: Solange die Politik sich nicht dramatisch ändert und das wird sie nicht, solange nicht der Klimawandel in den Bevölkerungszentren dramatische Auswirkungen annimmt, der Meeresspiegel die großen Küstenmetropolen bedroht, Migrationströme Europa überfluten, Australien teilweise unbewohnbar wird usw., was alles nach und nach passieren wird, bin ich persönlich in der glücklichen Lage zu sagen: nach mir die Sintflut... Und sie wird kommen. Das ist sicher, genauso sicher, wie wir unser globales Bevölkerungswachstum nicht werden stoppen können.

  

Zu guter letzt:

Erde und Mars treffen sich im Weltall

Mars zur Erde: "Wie geht's Dir?"

Erde, voller brauner Flecken: "Ach schlecht, ich bin krank."

Mars: "Ja, was hast Du denn?"

Erde: "Stöhn, Homo sapiens."

Mars: "Ach, nicht so schlimm, wart's ab, das geht auch vorbei..."

 

Wir hätten das alles wissen können, die Fakten waren seit 1972, seit dem Bericht des "Club of Rome" zu den "Grenzen des Wachstums" (Dennis Meadows et al.) erstmals in ihren großen Zusammenhängen publiziert. Niemand aus der Politik wollte wirklich umsteuern. Einzig es hat sich die Umweltbewegung gegründet, die uns heute - allerdings politisch gezähmt - lieber einen "Veggi Day" verordnen möchte, als an den Ursachen, der Bevölkerungsexplosion, zu arbeiten. Da kann man seine bequemen Mandate und Pensionen nicht mit erhalten...

 

Literatur:

Kostrzewa & Kostrzewa 2009: Das ewige Eis schmilzt! Naturwissenschaftliche Rundschau 728: 61-68. (Weitere Literatur bis 2008 dort) *Dieser neue Artikel aktualisiert die Aussagen von 2009.

Korth & Hofmann 2012: Eismassenänderungen im südlichen Grönland zwischen 1912 und 2012. Geodätische Woche Obergurgl, Tagungsband. S. 1-7.

Joughin et al. 2014: Further summer speedup of Jakobhavn Isbrae. The Cryosphere 8: 209-214.

Kostrzewa & Kostrzewa 2009-2016: Das ewige Eis schmilzt - in Arktis und Westlicher Antarktis. Ständig aktualisierter Vortrag.

weiter lesenswert in diesem Zusammenhang:

Donella Meadows et al. 2006: Grenzen des Wachstums. Das 30-Jahre update. Signale zum Kurswechsel. Hirzel (Übers. aus dem amerikanischen 2004, Vermont, USA)

Karl-Heinz Ludwig 2006: Eine kurze Geschichte des Klimas. Von der Entstehung der Erde bis heute. C.H.Beck

sowie eine sehr persönliche Grönland Familiensaga unseres Lektorenkollegen Stephan:

Stephan Orth 2013: Opas Eisberg. Auf Spurensuche durch Grönland. Piper Verlag; als TB von Malik National Geographic 2015

Text & Fotos, soweit nicht anders verzeichnet © Achim Kostrzewa, Aug. 2016