Faszination Grönland – Logbuch einer Expeditions-Kreuzfahrt der MS Disko II in die Diskobucht im Juni 2004
Text und Fotos: © Dr. Renate Kostrzewa
Am 17.6. fliegen wir nachmittags von Frankfurt über Reykjavik nach Kangerlussuaq, dem internationalen Airport Grönlands. Die Wolkendecke über Grönland reißt während des Fluges immer wieder auf, so daß wir einen guten Eindruck von der mächtigen Eiskappe im Landesinneren gewinnen. Beim Landeanflug kurvt der Pilot über den Söndre Strömfjord, wo wir unser Kreuzfahrtschiff, die MS Disko II, schon auf Reede liegen sehen. Müde fallen wir aus dem Flieger. Es ist Mitternacht. Da Kangerlussuaq am Polarkreis liegt, ist es noch taghell. Die Zeitverschiebung gegenüber Deutschland beträgt vier Stunden früher. In der Flughafenhalle werden wir von unserer Expeditionsleiterin Anja Erdmann und ihrer Kollegin Anne Terkelsen begrüßt. Dann bringt uns ein Bus auf der 12 km langen Schotterstraße vom Flughafengebäude zum Pier. Da der Wasserstand im Söndre Strömfjord sehr niedrig ist, erleben wir sogleich ein bißchen Expedition. Mit zwei Zodiaks werden wir und unser Gepäck an Bord der MS Disko II gebracht. Das Schiff, früher eine Linienfähre an der grönländischen Westküste, war erst kürzlich in Tallin völlig umgebaut worden. Es wird für eine Woche unser gemütliches zu Hause. Besonders die Panorama-Lounge wird in den kommenden Tagen unser vielbesuchter Treffpunkt. Durch die großen Fenster sieht man die eindrucksvollen Eisberge vorbeiziehen, während man im Warmen seinen Expresso oder Kakao schlürft.
An Bord findet eine kurze Begrüßung statt. Ein obligatorisches Video informiert über die Sicherheitsausrüstung und Verhaltensregeln im Notfall. Kapitän Jesper Lind Sörensen lichtet derweil den Anker. Während das Schiff langsam durch den langen, schmalen, von schneebedeckten Bergen eingerahmten Fjord gleitet, fallen wir nach der langen Anreise müde ins Bett.
Sisimiut Freitag, 18. Juni
Breite: 66° 56’ N/ Länge: 53° 41’ W
Als wir am frühen Morgen den Fjord verlassen und zunächst ins offene Meer stoßen, beginnt unser Schiff auf der unruhigen See etwas zu schaukeln. So mancher läßt erst einmal sein Frühstück wegen eines mulmigen Gefühls im Magen aus.
Morgens geben Anja und Anne einen ausführlichen Überblick über das Ausflugsprogramm der nächsten Tage. Wir Lektoren, Dr.Renate Kostrzewa (Biologie, Geographie) und Manfred Horender (Fotographie, Landeskunde) stellen uns kurz vor. Dann erkunden wir das Schiff, inspizieren die Decks und schauen nach guten Fotopositionen. Ein wichtiger Treffpunkt ist auch die offene Brücke, wo man dem Kapitän und seinen Offizieren beim Navigieren über die Schulter schauen kann.
Am frühen Nachmittag erreichen wir unser erstes Ziel, Grönlands zweitgrößte Stadt Sisimiut mit 5.200 Einwohnern. Sisimiut wurde 1756 gegründet. Die Reiseleitung bietet eine Stadtführung an. Bei Nieselregen geht es vorbei am Hafen in das historische Viertel. Bunte Holzhäuser verteilen sich über eine weite Hügellandschaft wie Spielzeug. Zwischen den Häusern sind viele Schlittenhunde angeleint. Nördlich des Polarkreises kommt man ins Land der Schlittenhunde. In Sisimiut überrascht uns der lebhafte Autoverkehr. Busse, Taxis und Privat-PKW´s sausen an einem vorbei, obwohl außerhalb der Stadt alle Straßen enden. Wir besuchen im Stadtzentrum die Markthalle, in der Rotbarsch, Robben- und Rentierfleisch sowie Walspeck, der vitaminreiche mattak angeboten wird. Ein Gast probiert ihn und bestätigt den nussähnlichen Geschmack. In der Pelz-Nähstube fertigen grönländische Näherinnen aus Robbenfell geschmackvolle und zweckmäßige Kleidungsstücken. Der Rundgang endet mit einem Besuch eines Kunsthandwerkbetriebes. Interessiert beobachten wir, wie aus Walrosszahn, Rentierknochen, Moschusochsenhorn oder Speckstein Figuren und Schmuckgegenstände in mühevoller Arbeit geschnitzt werden.
Um 18 Uhr legen wir ab. Kirsten Dmoch, Geschäftsführerin von Norden Tours, begrüßt alle Gäste auf dieser Jungfernfahrt des neuen Schiffes mit einer kurzen Ansprache und einem Glas Sekt, denn die MS Disko II fährt seit diesem Sommer im Vollcharter für Norden Tours.
Qeqertarsuaq Samstag, 19. Juni
Länge: 69° 15’ N/ Breite: 53° 33’ W
Allmählich kommen wir ins Reich aus ewigem Eis und Schnee. Schon frühmorgens – es ist ja auch nachts taghell - segeln Eisberge unterschiedlichster Gestalt und Form langsam am Schiff vorbei. Beim Frühstück zeigt sich der Expeditionscharakter der Reise. Kapitän Sörensen meldet über Lautsprecher: "Wale, Wale vor uns". Alles springt auf und rennt mit fliegenden Jacken, bewaffnet mit Fotoapparaten an Deck. Eine ganze Herde Seiwale schwimmt vor dem Schiff. Schnell wird nach diesem Erlebnis das Frühstück beendet, denn um 8 Uhr gehen wir vor Qeqertarsuaq auf Reede. Qeqertarsuaq ist der größte Ort auf der Diskoinsel mit 1.200 Einwohnern. Der Name bedeutet "große Insel". Auf einer Anhöhe liegt die kleine Kirche, die im Volksmund wegen ihrer achteckigen Bauweise "das Tintenfass unseres Herrn" genannt wird. Es gibt sogar einen kleinen Strand aus dunklem Lavasand, denn vor ca. 60 Mio. Jahren gab es hier vulkanische Erruptionen.
Im Frauenhaus liegen schöne Handarbeiten zum Kauf ausgebreitet. Die meisten stärken sich mit Kaffee, Tee und Kuchen für die Wanderung ins Bläsedal.
Andere besichtigen vorab die Arktische Station. 1906 wurde sie vom dänischen Botaniker Morten P.Porsild (1872-1956) gegründet. Von der Station wandern wir bei trübem Wetter und 5°C über viele, große Pfützen und einen kleinen, rauschenden Bach ins Bläsedalen (Windtal). Viele staunen über die reichhaltige Pflanzenwelt. Ab Mitte Juni ist die Tundra mit rotviolett blühenden Polstern des Stengellosen Leimkrauts, Arktischem Mohn, rotem Läusekraut und dem stark riechenden weißblühenden Teestrauch bedeckt. An einem wilden Wasserfall rasten wir. Die Expeditionsleiterin überrascht uns mit Kaffee und Keksen. Dann geht es wieder zurück an Bord. Nachmittags halte ich einen Vortrag mit dem Titel "Willkommen in Grönland". Der berichtet ausführlich über die Geographie, Geologie, die Siedlungs- und Entdeckungsgeschichte sowie die Tier- und Pflanzenwelt Grönlands.
Nach dem Abendessen gibt Manfred Horender im Recap einen interessanten Einblick in das grönländische Leben im Winter. Anschließend beantworten die Lektoren noch Fragen.
Bei strahlendem Sonnenschein passieren wir um 21 Uhr die alte, verlassene Mine Qullisat. Die Disko II gleitet durch eine in der Sonne glitzernde Eiswelt. Schon seit dem Nachmittag besserte sich das Wetter. Nun bestaunen wir von der Panoramalounge die Vielfalt der Eisberge. Es ist selbst abends so hell wie bei uns zu Hause mittags. So bleiben wir lange auf und werden kaum müde.
Ukkusissat und Uummannaq 20.Juni
Breite: 71° 03’ N/ Länge: 51° 38’ W
Morgens um 8 Uhr begrüßt uns Kapitän Sörensen gut gelaunt mit seiner unnachahmlich beschwingten Art. Ein herrlicher Tag kündigt sich an. Wir blicken auf eine glitzernde Eiswelt und erreichen die kleine Siedlung Ukkusissat mit ca. 200 Einwohnern. Im Versammlungshaus singen uns die Einheimischen grönländische Weisen und führen Tänze vor, die noch aus der Zeit der holländischen Walfänger stammen.
Die gegenüberliegenden Berge sind nach dem deutschen Polarforscher Alfred Wegener benannt. Er hat mehrere Expeditionsreisen ins ewige Eis unternommen. Um 11 Uhr verlassen wir das Dorf. Die Disko II macht sich auf den Weg zwischen Eisbergen hindurch nach Uummannaq.
Schon vom Hafen aus sehen wir den 1.175 m hohen Hausberg, der als Wahrzeichen über die Stadt ragt. Die herzförmige Bergsilhouette gab dem Ort ihren Namen.
Uummannaq wurde 1763 gegründet und liegt auf einer kleinen Insel. Anja und Anne machen eine kleine Stadtführung. Vom Hafen geht es zur Feldsteinkirche. Sie ist die einzige Steinkirche Grönlands (Granit). Es gibt ein kleines, beschauliches Museum. Ausgestellt sind Kajaks, Umiaks, kunstvolle Trachten sowie Repliken der mit Federn ausgepolsterten Fellkleider, die zwei Jäger 1972 bei den Mumien von Qilakitsoq gefunden haben.
Das Wetter ist so sonnig, daß sich manch einer auf die Hotelterrasse setzt, um über den Hafen und die vielen Eisberge zu blicken. Immer wieder hört man Eis abbrechen. Andere schlecken ein leckeres Softeis, um sich für den Bootsausflug oder die Wanderung zu stärken.
Die größere Gruppe macht die Bootstour zur Insel Storöen. Nach einer 1,5-stündigen Fahrt entlang steiler Berghänge und Klippen erreichen wir die sogenannte "Wüstenlandschaft" mit interessanten Steinen und Mineralien. Auf der Rückfahrt nach Uummannaq passieren wir noch eine Vogelkolonie mit Eissturmvögeln. Jedes Paar zieht auf einem schmalen Felssims sein einziges Junges groß.
Die andere Gruppe genießt eine Wanderung durch die Tundra zum "Haus des Weihnachtsmanns". Viele Pflanzen zaubern bunte Farbkleckse. Das erste Arktische Weidenröschen, die Nationalpflanze Grönlands, streckt gerade ihre Blüten heraus. Bei dem schönen Wetter bieten sich eindrucksvolle Ausblicke über den Hafen und eine kleine mit Eisbergen bedeckte Bucht. Mit einem Zodiak geht es wieder zurück in den Hafen. Wir genießen die schöne Tour entlang der Küste.
Saqqaq und Eqip Sermia 21.Juni
Breite: 70° 01’ N/ Länge: 51° 57’ W
Heute ist Grönlands Nationalfeiertag, denn am Polarkreis herrscht an diesem Tag Mitternachtssonne. Bei herrlichem Sonnenschein landen wir mit den Zodiaks in dem kleinen Fischerort Saqqaq auf der Halbinsel Nuusuaq. Nur 210 Einwohner leben hier. Zur Feier des Tages tragen sie ihre schönen, bunten Nationaltrachten.
Ungewöhnlich für diese Breiten bestaunen wir ein Gewächshaus, in dem Gemüse angebaut wird. Die Bucht ist voller Eisberge und so setzen wir uns ans Ufer und lauschen dem Krachen und Klirren. Durch die intensive Sonneneinstrahlung brechen viele Eisbrocken ab, die kleine Flutwellen erzeugen.
Zurück auf dem Schiff stehen erst einmal Vorträge auf dem Programm. Manfred Horender schildert in "Grönland gestern und heute" die kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung Grönlands über mehrere Jahrhunderte bis in die Gegenwart. Ich berichte in "Eine Welt aus Eis und Schnee" über die Bildung von Süss- und Meerwassereis sowie die Gletscherbildung in der Arktis und Antarktis.
Gegen 16 Uhr erreichen wir die imposante Gletscherwand des 4 km breiten Eqip Sermia. Alle stehen an der Reling. Die Fotoapparate und Filmkameras sind voll im Einsatz. Bei gleißendem Sonnenlicht steuert Kapitän Sörensen die Disko II durch den zähflüssigen Eisschlamm entlang der von tiefen Spalten zerfurchten Abbruchkante. Wir sind von diesem Naturwunder überwältigt.
Als besonderes Highlight wird das Abendessen heute als Barbeque an Land mit Blick auf den Gletscher serviert. Wir sitzen in der Tundra und genießen einfach alles.
Ilulissat 22.Juni
Breite: 69˚13’ N/ Länge: 51˚06’ W
Ilulissat, die Touristenhochburg in der Diskobucht, erreichen wir schon frühmorgens. In Grönland geht es gemütlich zu. Kapitän Sörensen wünscht uns überschwenglich einen "wunderwunderschönen" Morgen und meint ganz trocken "Wenn der Hafenkapitän aufgewacht ist, können wir in den Hafen einlaufen."
Ilulissat hat viele Ausflugsmöglichkeiten zu bieten, daher organisierten Anja und Anne alles so, daß jeder heute sein individuelles Tagesprogramm hat. Wer möchte, kann alle drei Angebote wahrnehmen und Ilulissat mit dem Eisfjord aus der Luft, bei einer Wanderung und mit einem Fischerboot kennenlernen.
Sobald das Schiff schließlich um 8 Uhr im Hafen festgemacht hat, gehen schon ersten von Bord und werden zum Flughafen gebracht. Die zwei gebuchten Hubschrauber fliegen dicht über den 40 km langen und nur 7 km breiten Eisfjord, der seit 2004 zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt und mit Eisbergen völlig blockiert ist. Der Pilot landet sogar auf dem Gletscher und wir können kurz aussteigen. Bewegt von dem einmaligen Panorama kehren wir in die Stadt zurück.
Eine zweite Gruppe unternimmt eine Bootstour mit einem kleinen, roten Holzkutter in das Mündungsgebiet des Eisfjordes. Es ist ein überwältigendes Gefühl, durch diese strahlende, gleißende Eiswelt zu schippern. Das Schiff wirkt winzig zwischen den Kolossen. Manche haben die Größe einer Kathedrale. Einige der Riesen zeigen tiefe Spalten und Einschnitte, andere haben kleine Tore ausgebildet. Dann stellt der grönländische Kapitän den Motor ab. Jetzt lauschen wir den Spannungen im Eis. Das Krachen abbrechenden Eises klingt in der Stille besonders intensiv.
Nachmittags bieten wir noch eine zweistündige Wanderungen durch die blühende Tundra des Sermermiut-Tales an das Ufer des Eisfjordes an. Über Stock und Stein nähern wir uns der Fjordkante und haben wieder eine andere Perspektive auf das Eis. Wir setzen uns in die weiche Vegetation.. Immer wieder rumpelt es, Eisklötze kalben ins Wasser. Bevor wir umkehren, bleibt noch Zeit, sich die Grab- und Siedlungsreste der Inuit anzusehen, die hier schon vor über 4.500 Jahren gelebt haben.
Bei strahlendem Sonnenlicht verlassen wir die prächtige Eislandschaft. Ein letztes Mal blicken wir auf die Eisberge, die sich im stillen Wasser spiegeln.
Itilleq 23. Juni
Breite: 60° 59’ N/ Länge: 45° 28’ W
Da wir erst nachmittags in Itilleq ankommen werden, wird der Vormittag zu Vorträgen genutzt: "Das Leben der Wale und Robben" ist wieder mein Thema. Wale hatten wir ja bereits vorher gesehen.
Das malerische Itilleq liegt mit seinen 130 Einwohnern schon südlich der Diskobucht. Die Menschen leben abseits der Zivilisation von der Jagd und dem Fischfang. Sie sind auch begeisterte Fußballer und freuen sich schon auf die Disko-II-Mannschaft. Viele von uns machen die Gaudi mit, aber wir verlieren haushoch.
Mit dem Captainsdinner und einer Foto-Präsentation von Manfred Horender geht der letzte Abend auf der inzwischen liebgewonnenen Disko II zu Ende.
Kangerlussuaq 24. Juni
Breite: 67° 04’ N/ Länge: 50° 42’ W
Frühmorgens gleitet die Disko II langsam durch den Söndre Strömfjord. Ein langer Tag bricht an, da wir erst spätabends abreisen werden. So haben wir noch etwas Zeit für eine Wanderung im Paradiestal. Von hier bietet sich ein weiter Blick in den Fjord. Danach halte ich meinen Vortrag "Arktis und Antarktis" über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser beiden einzigartigen Naturlandschaften.
Zum Ausklang unserer erlebnisreichen, überwiegend sonnigen Expeditionsfahrt entlang der grönländischen Westküste werden zwei Ausflüge angeboten. Eine Moschusochsen-Safari oder eine Tour zum Inlandeis. Da Jagdsaison ist, bleiben die Moschusochsen in Deckung. Interessant ist die Fahrt auf einer 25 km langen Schotterstraße mit dem Tundrabus zur Eiskappe, wo wir aussteigen können und einen Fuß auf das ewige Eis setzen. Auf der Rückfahrt haben wir doch noch Glück: Ein Moschusochse wandert gemächlich durch die Tundra.
Gegen Mitternacht fliegen wir dann über Reykjavik zurück nach Hause.
Weitere Informationen zu Anlandepunkten, Grönländern, Pflanzen- und Tierwelt, sowie eine Diaschau mit 250 Bildern finden sie in meinem CD-ROM-Buch "Grönland für Kreuzfahrer".
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