Kraniche: NATUR-Fotografie in der KULTUR-Landschaft ? Ein Dilemma!

Ich war Anfang Oktober zu den Kranichen nach Meck-Pomm aufgebrochen. Kraniche in Schweden kenne ich seit Herbst 1984 von Öland (Möckelmossen) und Ostern 1985 vom Hornborgasjön. Das Rastgebiet in Südschweden ist weltbekannt und eine alte Kulturlandschaft mit Kartoffelanbau und Schnapsbrennerei... Die Kraniche begnügten sich mit den Resten auf den abgeernteten Äckern. Dann folgte der Maisanbau und die künstliche Fütterung. Trotzdem, die Kraniche wurden immer mehr. ABER, es sieht weder schön noch natürlich aus, wenn die stolzen Vögel durch die Stoppeln stelzen. In Nordspanien ist es prinzipiell nicht anders. Die Lagune von Gallocanta habe ich 1986 besucht: Maisstoppel in einer welligen kargen von Lesesteinmauern überzogenen alten Kulturlandschaft...

Wenn man da so hinter dem Stativ wartet, hat man ja Zeit zur Kontemplation über den Spannungsbogen zwischen einer intensiv genutzten KULTUR-Landschaft in Europa und der NATUR-Fotografie.
Beispiel Groß Mohrdorf: die Fotos zeigen ohne Kraniche ja nun eindeutig eine großflächig leer geräumte Produktionslandschaft aus Mais- oder Rapsacker, die von den meisten von uns aber mit Kranichen, nordischen Gänsen oder auch nur Rehen drauf  sofort als Natur empfunden oder doch zu mindestens akzeptiert wird, ohne diese Bildelemente aber eben nicht!

 

Mais- und Rapsanbauflächen haben sich in den letzten 10-15 Jahren vervielfacht. Begründung: Biogas und Biosprit, als "nachwachsende" Rohstoffe! In den 1980 und 90er Jahren hat man noch landwirtschaftliche Flächen stillgelegt und dem Naturschutz überlassen. Jetzt ist längst wieder der letzte Quadratmeter "in Wert gesetzt" zum Schaden der Natur, denn da wo Mais und Raps wachsen, ist ökologisch ziemlich tabula rasa angesagt, sagen jedenfalls viele Studien zur Biodiversität auf solchen Flächen!

 

Meinem eigenen Konzept von Naturfotografie widerspricht diese Landschaft ebenfalls. Hier gibt es einfach keine "Natur pur." Höchstens noch an den Schlafplätzen des Bodden-Nationalparks, den östlichen Ausläufern der vorgelagerten Zingst Halbinsel über den Bock bis hin nach Rügen. Diese bilden geografisch gesehen eine Inselnehrung. Hier gibt es zwei bedeutende Schlafplätze: die beiden kleinen Inseln Kirr und Großer Werder, die aber vom Bodden selbst und von den Nationalparkgrenzen gut abgeschirmt sind. Die Entfernungen für den Beobachter von den eingerichteten Türmen liegt immer in Spektivdistanz und das ist auch richtig so. An den Schlafplätzen sind die Tiere besonders empfindlich und sollten dort ihre Ruhe finden können.

Beobachten geht an zwei eingerichteten Plätzen für Besucher sehr gut: am nördliche Dorfende von Hohendorf steht eine alte LPG (?) Halle, die zur Beobachtungszentrale wetterfest ausgebaut wurde. Hier hat man die Kraniche schön auf dem Maisacker aber vor dem Bodden stehend.

 

Beobachtung in Hohendorf (600mm): Kraniche fliegen zum Fressen ein, heute sind nur etwa 50 da, bin in der ersten Oktoberwoche etwas zu früh!

 

Die zweite Stelle ist am Günzer See, ca. 5 km südwestlich von Groß Mohrdorf mit seinem Kranichzentrum. Am Günzer See sind die meisten Fotografen, die dort eine Fotohütte mieten wollen/können. Der Günzer See liegt inmitten der landwirtschaftlichen Kulturlandschaft. Aus den Hütten kann man zwar mit Glück Nahaufnahmen der Kraniche machen, aber "Kranich in Landschaft" geht hier für meine Ansprüche gar nicht!

 

Günzer See, Blick nach Norden auf das abgemähte Maisfeld mit Kranichen und den beiden optimalen Fotohütten 1 + 2. (600 mm vom Parkplatz aus).

Blick nach links (Westen) zum Günzer See, wenn was los ist, stehen hier dutzende Fotografen... Das Ganze ist so wie ein Mini-Hornborga organisiert.

 

Abends stellt man sich irgendwo an den Bodden und hofft das Beste, wenn der Wind richtig steht und die Sonne scheint, sind die Kraniche mal weiter (hier) und auch näher (leider nicht bei diesem Licht) auf dem Trip zum Schlafplatz zu sehen (600 mm).

 

Und wenn alles nix mehr hilft, gibt es noch die gute alte Doppelbelichtung: Mond 800ASA, Kraniche 6400 ASA  (D700 mit manuellem AIS 5,6/600 IF-ED). Beide Aufnahmen Vollformat, aber unten etwas gestempelt wegen störenden Kleinvögeln (Stare?). Nicht entrauscht, Sensor muß gereinigt werden :-(


Bleibt zum Ausprobieren für die Zukunft noch das Diepholzer Moor und Brandenburg. Aber bessere Fotobedingungen sind da sicherlich auch nicht, denn die meisten Fotografen kommen hier nach Meck-Pomm. Wenn man zum Arbeiten mindestens ein 600er und noch einen Konverter braucht, ist die Distanz so groß, das mir das Gefühl für mein Fotothema irgendwie entgeht. Die Fotos werden nie so intensiv, dass der berühmte Funke überspringt... Also macht das pure Beobachten selbst mir dann mehr Spaß, als Schrott auf dem Chip zu speichern.

 

Mehr Kranich geht hier nicht ohne Ansitzhütte: ca. 70 Meter Distanz aus dem Auto heraus an einer kleinen Straße (D300 mit manuellem AIS 5,6/600 IF-ED ergibt technische 900 mm am DX Chip). Da ich Ansitzhütten nicht mag in denen ich den ganzen Tag lang eingesperrt bin, bleibt diese etwas unbefriedigende Aufnahmesituation im Maisfeld das, was man erreichen kann.

 

Nachdem wir nun seit der Jungsteinzeit unseren Lebensraum immer weiter kultiviert und damit ökologisch umstrukturiert haben, die meisten sensiblen Arten verschwunden waren, stellen wir nun erstaunt fest, dass es durchaus einige Spezies gibt, die aus ihren Rückzugsgebieten kommend, beginnen diese Kulturlandschaft – wenigstens zeitweise – für sich zurückzuerobern oder sogar darin zu siedeln. Das ist gut für alle, Mensch und Tier und Pflanze. Trotzdem wirk dies ungewöhnlich. Das erste Mal, wo ich dies intensiv erlebte war bei den Fischadler auf Sunibel und Captiva Island in Floridas Westen. Nester mitten in den Siedlungen, auf Masten über Supermarkt-Parkplätzen. Für jemanden der hierfür bis zum Mälarensee nach Schweden gefahren ist, eine ziemlich skurrile Erfahrung.

Fazit: Was bleibt, ist die Ausschnittsfotografie, die versucht alle zivilisatorischen "Mängel" aus den Bildern auszugrenzen. In der Landschaftsfotografie kaum möglich, gelingt dies bei Tieren noch einigermaßen (je nach Art) und bei Pflanzen am ehesten im Makrobereich, wo schon einige Quadratmeter naturnaher Vegetationsflecken ausreichen, um auf dem Foto " heile Welt" zu spielen. Wenn dem nicht so wäre, könnten wir NATUR-Fotografie nach strengen Maßstäben hier in Mitteleuropa wirklich vergessen…

Text und Fotos  © A.Kostrzewa 1.11.12 und 3.11. fertig gestellt