Straßenreportagen - Meine "Henri Phasen"

Man kann nicht  immer nur Natur fotografieren! Durch die vielen Reisen gelangt man hin und wieder auch in interessante Städte. Mit etwas Zeit kann man ohne Stress eine bisschen Reportage machen...

Als ganz junger Fotograf hab ich alles fotografiert, was mir vor die Linse kam. Später mit der ersten Nikon FM mit 2,0/50mm Standartoptik kamen Reportagethemen in SW dazu, die mich auch immer wieder mal in die Tageszeitung brachten: es fallen mir da auf Anhieb "Die Männer mit Zylinder" ein, die Brühler Altkarnevalsprinzen in ihren grauen Zylindern. Karneval - obwohl ich kein Fan bin - bietet tolle Portrait- und Straßenmotive. Da alle verkleidet sind, sind die Bildrechte auch eher unproblematisch, selbst bei Nahaufnahmen im Straßenkarneval. Der Mann mit Hut und Leica galt dabei als einer meiner Vorbilder "Henri Cartier-Bresson", der frühe Leica- und spätere Magnumfotograf.

HCB - Fotograf unbekannt, Quelle: google Bilder unter "Henri Cartier Bresson"

Heute nennen Leica Liebhaber die neue Leica Monochrom, eine Digitalkamera nur für schwarzweiß, liebevoll "Henri"...

Magnum, die Agentur der weltbesten Fotoreporter und Kriegsfotografen (Korea, Vietnam, Kambodscha) dominierte bis in die frühen 1970er Jahre die Bilder in Life, Time, Spiegel oder Stern. Von diesen Leuten konnte man viel lernen, allein durch das Anschauen ihrer Fotos. Nachdem sie so wichtige Ansprüche, wie das Recht an ihren Negativen bei der Presse durchgesetzt hatten, nur noch das Bild in der Zeitung wurde zum ein- oder mehrmaligen Abdruck verkauft, die Bildrechte blieben beim Fotografen, nahm auch der Bildjournalismus einen großen Aufschwung. Endlich konnten die Fotografen von ihrem Beruf leben, reisen, fotografieren und immer Neues produzieren.

Was habe ich persönlich von Henri gelernt?

A la Longe zweierlei:

1.Fotografie ist ein Handwerk (das man beherrschen muß) und

2. man muß den "entscheidenden Moment" festhalten. Die bedeutet, daß man nicht nur die Abstraktion von der Dreidimensionalität der Welt in die zwei Dimensionen des Fotos verdichten muß, sondern auch noch zusätzlich - sofern handelnde Personen abgebildet sind, deren Handlung soweit verdichtet, daß das Bild unmittelbar verständlich ist und genau zeigt, worum es den Personen und dem Fotografen in diesem "entscheidenden Moment" geht. Das gilt auch für die Tierfotografie, auch hier sollte man nicht einfach nur Tiere ablichten, sondern in "möglichst typischer Action" zeigen.

Was immer noch von den Erfahrungswerten HCB's gilt, ist zum Beispiel, daß man die ersten 10.000 Fotos wegschmeißen sollte. Ich habe dafür 10 Jahre gebraucht und bis auf ganz wenige Ausnahmen auch alles aus dieser Zeit entsorgt.

Einige seiner Regeln finde ich allerdings auch hinderlich, zumal, wenn man mit Festbrennweiten arbeitet: ich croppe schon immer, schon allein um beim Vergrößern in der Duka das Bildformat des Fotopapiers auszunutzen, das meist dem Seitenverhältnis von 3:4 entspricht, obwohl das Kleinbildformat ja seit den frühen Leicas 2:3  ist. Selbst heute mit einer D700 und dem AF-Zoom 3,5-4,5/28-85 N croppe ich lustig vor mich hin, weil man trifft den "entscheidenden Augenblick" manchmal halt mit der falschen Brennweite!

 

 

Die Straßencafe Szenen in San Francisco und Colmar entheben mich vom "deutschen Recht am eigenen Bild". Beides sind Cropps. In Colmar hatte ich nur das AI 2,0/35er drauf, da musste ich etwa 45% croppen, in San Francisco das kleine Reisezoom 28-85. Im Bildbeispiel bei 45mm, da habe ich aber noch links und oben etwas beschnitten. Nach Gelb gefiltert und SW konvertiert in NX2.

 

Nur Leica Messsucher für Straßenfotografie?

Viele der klassischen Reportagefotografen - wie auch der Bonner Jupp Darchinger - haben mit Leica nach dem Krieg angefangen. Die Leica IIIf (ab 1950) war das Maß der Dinge. Doch ab 1959 kam die Spiegelreflex Nikon F auf den Markt und revolutionierte die Profifotografie: wesentlich schnellerer Filmwechsel, Motordrive, Sucherprisma mit eingebautem Belichtungsmesser, gute Objektive, Superweitwinkel, 8mm Fisheye, längere Telebrennweiten als 135mm. Vieles wurde möglich, was mit einer Leica nicht machbar war. Trotzdem blieb die Leica, vor allem durch die Neukonstruktion der M3 (ab 1954) und das neue Leicameter MC (ab 1956 aufsteckbarer Belichtungsmesser), ein wichtiges Reportage- und Portraitwerkzeug. Leica hat immer noch seine Liebhaber, wenn ich aber bedenke, daß eine neue M (240 digital) 6.200,- € als Body kostet und drei entsprechende Festbrennweiten nochmals mit 12.- 15.000,- € zu Buche schlagen, ist das schon eine Investition fürs Leben. Die Frage ist doch: bekomme ich durch diese Kamera bessere Bilder?

 

Cool in SW, aber auch schön in Farbe (Text siehe unten)

 

Ich glaube eher nicht wirklich. Ich hatte vor 20 Jahren länger eine Leica CL mit 2,8/40mm und 4/90mm Summicron. Verglichen mit meiner Nikon FM oder FE war sie langsam und schwieriger zu bedienen, der Filmwechsel dauerte zu lange, die Belichtungsmessung war gewöhnungsbedürftig. Das kann natürlich daran liegen, daß die kleine Nikon mir völlig vertraut war und ich sie blind und im Dunkeln laden, bedienen und auch Objektive wechseln konnte. Außerdem was Haltbarkeit und Belastbarkeit angeht, waren die alten Nikons (allen voran F und F2) unverwüstlich. In mehr als dreißig Jahren Analogfotografie mußte nur meine FM2 mit einer klemmenden Verschlusslamelle nach Düsseldorf Tiefenbroich in die Werkstatt. Ich hatte in Schweden einen Verschlussklemmer. Nahm im Schlafsack den Film aus der Kamera und sah die Bescherung: eine der Titanlamellen hin aus dem Verschluss heraus. Mit viel Ruhe und Geschick fummelte ich sie wieder rein und siehe da, der Verschluss funktionierte wieder! Aber war er auch lichtdicht? Stimmten nach meiner Behelfsreparatur die Zeiten noch? Die Nikonwerkstatt in Düsseldorf bestätigte beides später nach der Reise. Mein Fazit daraus ist: die beste Kamera ist die, die man immer dabei hat und eine Nikon FM oder FE mit 2/35 und 2/85mm ist kaum größer und schwerer wie eine Leica M4 mit 2/35er und 2/90er. Zugegebenermaßen ist die Leica leiser, da sie keinen Spiegelschlag hören läßt. Aber dann ist das Foto ja schon im Kasten... Solange man weder blitzt noch mit Motordrive arbeitet, kann man auch mit einer kleinen Reflex relativ unbemerkt arbeiten. Heute hat man noch mehr Optionen: MFT Format oder APS-C spiegellose Kameras sind klein und unauffällig, liefern aber auch hohe Bildqualität bei den richtigen Objektiven von Olympus oder Leica-Panasonic (Lumix) und neuerdings sogar Zeiss. Meine Wahl wäre heute für Film wahrscheinlich eine gebrauchte Contax G2 mit Vario Sonnar 35-70mm für die Straße, statt einer Leica M6 TTL. Weil man mit Autofokus, Zoom und Motordrive einfach mehr Treffer im "entscheidenden Moment" landet! Und nur darauf kommt es an. Ich habe es in meinen 25 Jahren semiprofessioneller Fotografie noch nie erlebt, daß ein Bildredakteur nach meiner Kamera gefragt hätte, wenn er meine Kleinbild- oder 645er Mittelformate auf dem Leuchttisch liegen hatte.  Es ist wie Löcher in Wände bohren, man kann eine FEIN oder HILTI nehmen oder eben doch nur eine BOSCH oder AEG. Den Unterschied bemerke ich bloß darin, wie weh mir meine Arme tun und wie viele Löcher ich pro Stunde schaffe! Für digitale  Streetphotography scheint mir die Leica ähnliche Fuji X-E1 mit dem 18-55mm gut geeignet, aber eben auch jede vorhandene kompakte Spiegelreflex. Die Profimonster von Canon oder Nikon  ziehen zuviel Aufmerksamkeit auf sich. Aber je nachdem ist das auch egal, wenn ich vorher mit den Motiven rede und frage, ob ich sie denn fotografieren dürfe, brauche ich keine kleine und leise Kamera. Will sagen, man soll sein Unvermögen nicht auf die fehlende Ausrüstung schieben, sondern einfach mit dem Gerät anfangen, was man schon hat. Nicht die Kameras machen die Bilder, sondern die Leute dahinter! Und die haben die Bilder, die sie umsetzen möchten, bereits vorher in ihren Köpfen!

 

Wien, Straßencafe im Vorbeigehen durch die Scheibe (D300, 28-85mm @ 80mm)

 

Ein bisschen Kritik an meinem Vorbild habe ich heute denn auch: Was ich an Herni Cartier-Bressons Arbeitsweise nicht so toll finde, kann ich dann hier loswerden: er fotografierte Kinder oder kleinere Menschen immer von oben herab, ohne sich auf ihre Augenhöhe zu begeben. Man sieht das auf einer Reihe von Fotos, beispielsweise das von dem französischen Jungen, der stolz die beiden Weinflaschen trägt. Das wirkt auf mich etwas arrogant und überlegen...

 

Geht es auch im Farbe?

Ja doch! Die beiden Arbeiter schieben ein Cable Car mit Muskelkraft von den Drehscheibe. Die warmen Farben des Abendlichtes unterstreichen m.E. die Atmosphäre.

 

Zwei meiner Modells haben schon Augenkontakt zu mir, aber die beiden Gays sind noch zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Mein entscheidender Moment! (D700 + 28-85mm, Bild 3 aus 4 einzeln ausgelösten Aufnahmen).

(c) Achim Kostrzewa im Juli 2013